Dieses Album ist reiner Konfrontationskurs. (2024)

laut.de-Kritik

Dieses Album ist reiner Konfrontationskurs.

Review von Yannik Gölz

Dafür, dass sie den Zynismus eigentlich überhaupt nicht verdient, macht Demi Lovato der Musikwelt den Zynismus leider sehr leicht. Nicht nur, weil der ehemalige Disney-Star immer wieder bizarre Schlagzeilen über politisch korrekte Begriffe für Aliens und Zwischenfälle mit Jogurt lieferte, sondern auch weil Demi sich seit nun mehr zehn Jahren in einer ständigen Spirale der Selbstzerstörung befindet, der sie wieder und wieder mit einer neuen dramatischen Geste der Selbstfindung begegnen will. Mit "Holy Fvck" gelingt ihr der bisher glaubwürdigste Ausbruch daraus. Ihr ruppiges Rock-Album ist scharfkantig, rechtschaffend wütend und klingt zum ersten Mal seit langem so, als hätte sie selbst wirklich Spaß daran.

Nun wird man sich zurecht fragen – ehemaliger Disney-Star und ruppiges Rock-Album, wer's glaubt wird selig, oder? Aber nach Miley Cyrus' "Plastic Hearts", Halseys "If I Can‘t Have Love, I Want Power" und der generellen Pop-Punk-Renaissance unter Travis Barkers Produktions-Diktat stehen die Sterne besser als je zuvor, dass Demi zu ihren Pop-Punk-Wurzeln zurückfindet.

Wofür sie 2008 schon die musikalische Affinität mitbrachte, dafür hat sie jetzt endlich die Lebenserfahrung. Wenn der Opener "Freak" mit industriellen Gitarren-Licks und mit Stimmlage zwischen Marilyn Manson und Placebo einschlägt, merkt man, wie ernst Demi das alles meint.

Natürlich hat sie dem Pop nicht ganz abgeschworen. Das merkt man weniger am Sound an sich als an den Songstrukturen, die sich über die sechzehn Songs hom*ogen und brav in Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Bridge-Refrain sortieren. Aber tatsächlich finden sich die besten Momente in den Songs, in denen explosive Wut mit einer pop-sensiblen Hook verschmilzt. Die beiden Singles "Skin Of My Teeth" und "Substance" etwa singen mit wundervoll angepisstem Galgenhumor vom Leben in der Drehtür der Entzugsklinik.

Ab und zu nickt sie mit Kollaborationen mit weniger bekannten Sängerinnen wie Royal And The Serpent oder Dead Sara sogar ein wenig in Richtung Riot Grrrl, und der Refrain auf "Eat Me" bietet wohl den exzessivsten, einschlägigsten Moment des Albums. Wer in Frage gestellt hat, dass Demi rocken kann, wird vor der Bühne verprügelt. "I can't spoon-feed you anymore / Dinner's served, it's on the floor / I can't spoon-feed you anymore / You'll have to eat me as I am", heißt es da. Eine Mischung aus Zynismus, Wut, Kampfbereitschaft und sexueller Energie, die sich auch auf die zweite Hälfte des Albums durchzieht, wo sie irgendwann ihre Sexualität mit Disney World-Fahrgeschäften vergleichen wird.

Es gilt also weniger sich Sorgen zu machen, ob Demi ihre Rock-Kredibilität beweisen kann, sondern eher, ob sie es nicht ein bisschen zu viel beweist. Für ein sechzehn Tracks starkes Album geht "Holy Fvck" nämlich unerwartet wenig vom Gas, es gibt maximal eine oder zwei Stellen gegen Ende, bei denen sie ein klein wenig andere Töne anschlägt. Allen voran das auf Arena-Rock gedrehte "Dead Friends", bei dessen Erinnerung an überlebte Freunde man nicht ganz weiß, ob gerade Fists gebumpt oder Tears gejerkt werden wollen.

Abgesehen davon: Dieses Album ist reiner Konfrontationskurs, der keinem schweren Thema aus dem Weg geht. Missbrauch, Depressionen, Drogen, uns wird eine hymnenhafte Hook nach der anderen um die Ohren gehauen, drei Mal pro Minute erlangt Demi die Kontrolle über ihr schweres Schicksal zurück, und immer wieder, während man anerkennend und beeindruckt zuhört, ist er da wieder, dieser Zynismus. "Mensch, das ist ja alles schön und gut", sagt der kleinliche Wichser auf der Schulter dann, "aber beim zehnten Mal ist ja auch gut, und man merkt doch richtig doll, wie viel zu angestrengt sie versucht, diese neue Ästhetik durchzuziehen, die sie auch nicht angerührt hätte, wenn sie gerade nicht wieder im Trend läge".

Und wer weiß, vielleicht hat die kritische Stimme recht. Auf jeden Fall mindert das Überangebot auf "Holy Fvck" ein wenig die Wirkung, denn Leute, die zu vehement auf etwas beharren, haben damit gerne Mal unrecht. Und Demi scheint tatsächlich ein wenig damit zu ringen, wirklich ja keine Zweifel aufkommen zu lassen, dass sie jetzt doch wieder alles unter Kontrolle hat, genauso wie sie keine Zweifel aufkommen lassen will, dass sie auf jeden Fall wirklich rockt. Und in dieser perfekt erfüllten Hausaufgabe sitzt dann wieder der zynische Zweifel: "Holy Fvck" ist definitiv Demis überzeugendstes Album bisher. Aber je exzessiver sie beteuert, damit die fremden Zweifler niederzuschreien, fragt man sich, ob der größte Zweifler nicht sie selbst ist. Und vielleicht liegt genau da die wirkliche Aufrichtigkeit dieser Platte.

Dieses Album ist reiner Konfrontationskurs. (2024)

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