Als «grossartige Eigenleistung» wird er vor 50Jahren angepriesen. Doch haarsträubende Mängel machen den Panzer68 weltweit zum Gespött – Rückblick auf ein groteskes Kapitel der Schweizer Rüstungsgeschichte.
Marc Tribelhorn
Das Unheil beginnt im Februar1968, und zwar mit einem Entscheid, der mehr mit Heimatschutz als mit Landesverteidigung zu tun hat. 140Panzerhaubitzen aus US-amerikanischer Produktion will der Bundesrat beschaffen. Kostenpunkt: 410MillionenFranken. Und weil er nun harsche Reaktionen der düpierten heimischen Industrie befürchtet, beantragt er dem Parlament kurzerhand für weitere 460Millionen auch noch 170Kampfpanzer des Typs68 – einer Eigenentwicklung der Eidgenössischen Konstruktionswerkstätte in Thun. Ob dieser Panzer die Schlagkraft der Armee verbessern würde, spielt keine Rolle: «Ce n’est pas une nécessité militaire, c’est une nécessité industrielle!», erklärt Verteidigungsminister Nello Celio freimütig. Das Parlament folgt ihm ohne Widerrede.
Doch bereits die ersten Tests des Gefährts, das auf dem Panzer61 basiert und als «grossartige Eigenleistung der Rüstungsindustrie» gerühmt wird, lassen Schlimmes erahnen. Von gravierenden technischen Mängeln wird bald gemunkelt, die Truppe beklagt insbesondere die «drückende Enge» im von vier Soldaten besetzten Stahlkoloss. Ein Geburtsfehler der absurden Art: Die Konstrukteure entwarfen den 40-Tonnen-Panzer schmaler als ausländische Modelle, damit er «eisenbahntauglich» ist, sprich: damit sich zwei mit diesen Fahrzeugen beladene SBB-Züge ohne Streifkollision kreuzen können – obwohl dies im Kriegsfall kaum je ein realistisches Szenario wäre.
Heizung an – und bum!
1974 will SVP-Bundesrat Rudolf Gnägi, der Celio an der Spitze des Militärdepartements abgelöst hat, für 146MillionenFranken weitere 50Panzer beschaffen. Eine beratende Kommission aus Panzeroffizieren kritisiert: «Die Art und Zahl der Mängel erlauben es nicht, von einem kriegstauglichen Fahrzeug zu sprechen.» Bei einem Truppenbesuch in der Kaserne Thun fragt Gnägi bei Soldaten nach: «Würden Sie mit dem Panzer68 in den Krieg ziehen?» Die Antwort: «Herr Bundesrat, lieber nicht!» Doch Gnägi, der bieder-knorrige Berner, der vor allem wegen der Einführung eines tarngrünen Rollkragenpullovers in Erinnerung bleiben wird, hält unbeirrt an seinem Plan fest und betont im Parlament, fast alle Kinderkrankheiten seien nun korrigiert.
Die Sozialdemokraten glauben ihm nicht und verlangen die Rückweisung der Vorlage; doch die Bürgerlichen halten nichts von der «Miesmacherei». Und so nimmt das Rüstungsdebakel seinen Lauf: 1975 und 1978 heisst das Parlament nochmals 654MillionenFranken für 170Stück des militärisch zweifelhaften Panzers gut – nicht nur aus sicherheitspolitischen Gründen, sondern wiederum mit dem Verweis auf den volkswirtschaftlichen Nutzen, gerade in rezessiven Zeiten.
Geistige Landesverteidigung in materialisierter Form: Der Panzer CKD-Praga TNH war ein Modell aus aus der ehemaligen Tschechoslowakei, die von den deutschen Truppen erobert wurde. Dieser Praga-Panzer wurde an der Landi 1939 in Zürich präsentiert. (Bild: VBS/DDPS)
Dabei sind die Mängel des Panzers alles andere als beseitigt. Im Herbst 1977 lösen sich in Gefechtsübungen in Thun und Hinterrhein Schüsse, ohne dass jemand den Abzug betätigt hatte. «Nur mit Glück ist nichts passiert», heisst es bei der Gruppe für Rüstungsdienste im Militärdepartement. Und zum Grund des Übels: «Wenn die Heizung eingeschaltet wurde, kam Energie auf die Elektrozünder – und ‹bum!›.» Die Panzer 68 seien viel gefährlicher, als sie aussehen, höhnt der «Blick». Nach dieser Peinlichkeit platzt auch der Rüstungsdeal mit den Österreichern, denen man 120 Stück des Panzers verkaufen möchte. Die zu PR-Zwecken nach Thun geladenen Reporter der «Kronen-Zeitung» frotzelten bereits vor der Absage über die «gepanzerte Sardinenbüchse» und «Missgeburt».
Kein Schutz vor Kampfgas
Doch zum richtigen Skandal wird der Panzer erst 1979, als darüber debattiert wird, ob die Schweiz als Ersatz für die in die Jahre gekommenen englischen Centurion-Panzer erneut auf einen Eigenbau setzen soll. Dem Militärspezialisten der «Weltwoche», Marcel H. Keiser, wird die Kopie eines Briefes zugespielt, der an Brisanz nicht zu überbieten ist. In dem vertraulichen Schreiben berichtet Divisionär Robert Haener, der Waffenchef der mechanisierten und leichten Truppen, dem Generalstabschef seitenlang über haarsträubende technische Mängel des Panzers68: So funktioniert zum Beispiel die Anlage gegen atomare und chemische Kampfstoffe nicht, weshalb die Besatzung Schutzmasken tragen muss und so massiv in ihrer Kampfkraft eingeschränkt ist.
Wenn im Panzer die Lautstärke des Funkgeräts erhöht wird, beginnt sich der Geschützturm wie von Geisterhand zu drehen. Und der Rückwärtsgang darf nur eingelegt werden, wenn der Panzer absolut stillsteht. «Ein nur geringes Weiterrollen während des Schaltvorgangs kann zu grösseren Getriebeschäden führen.» Unter diesen Umständen lehnt Haener denn auch «jede Verantwortung für die Einsatzbereitschaft» seiner Panzerverbände ab.
Die Enthüllung der «Weltwoche» löst ein politisches Erdbeben aus. Der Boulevard empört sich, für den Ernstfall bleibe wohl nur eine Hoffnung: «Dass sich der Feind ob der vertrackten Stahlkarossen made in Switzerland totlache!» Der schwer angeschossene Gnägi kündigt kurz darauf seinen Rücktritt an. Doch nicht nur der Verteidigungsminister und seine Entourage, die Haeners Mängelliste zunächst als «unpräzis» und «undifferenziert» abtun, geraten in die Kritik, sondern auch die Parlamentarier, die von den ernsthaften Problemen hätten wissen können, aber offenbar nicht wollten. SP-Präsident Helmut Hubacher, der früh vor den Missständen gewarnt hat, bilanziert später: «Die gleichen, die 1974 den kriegsuntauglichen Panzer68 fatalistisch auf die Panzerpisten rollen liessen, zeigten sich nun besonders empört und überrascht. Ein schlechtes Gedächtnis war schon immer das beste Mittel gegen ein schlechtes Gewissen.»
Wo sind die Schuldigen?
Eilends wird eine Untersuchungskommission eingesetzt. In ihrem Bericht kommt sie zum Schluss, dass die von Haener beanstandeten Mängel sich «im Wesentlichen als begründet erwiesen», und listet minuziös deren fünfzig auf. Zwar seien die meisten zu beheben; doch selbst dann «wird der Panzer 68 kein Kampfpanzer sein, der in technischer Hinsicht mit jenen der neueren Panzer-Generation (...) gleichgestellt werden könnte». Wer für den Schlamassel verantwortlich ist, bleibt indes ungeklärt.
Und so wird der Pannenpanzer68 in den Folgejahren mit weiteren Millionenspritzen halbwegs kriegstauglich gemacht. Die letzten 200Exemplare werden erst 2005 verschrottet, nachdem ein Verkauf nach Thailand gescheitert ist. Wichtigstes Ergebnis der Affäre: Die Schweiz verzichtet seither auf Kampfpanzer der Marke Eigenbau.
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